Soll so wirklich unsere digitale Zukunft aussehen?

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Wir stehen inmitten und vor noch mehr dramatischer Veränderung. Vieles, von dem wir glaubten, es würde immer so bleiben, wird in in einigen Jahren entweder gar nicht mehr da sein oder sich völlig anders präsentieren. Die Frage, die sich stellt, ist: „Wie viel von dieser digitalen Zukunft wollen wir eigentlich?“ In diesem Beitrag beschreibe ich Ihnen die anstehenden Änderungen, hinterfrage sie und mache mir Gedanken über die möglichen Auswirkungen auf uns alle.

Unsere Welt ändert sich. Unser Verhalten ändert sich. Wir befinden uns in Zeiten des Wandels. – Solche geradezu klassischen Aussagen hört man seit Jahren. Wir nehmen sie kaum noch bewusst wahr; sie sind so normal, dass sie uns kaum noch interessieren. Wie aber klingen die folgenden Thesen?

Diese dramatischen Veränderungen stehen uns bevor:
  • Die Änderungen, die über Internet, Mobile und soziale Netzwerke vom virtuellen in den realen Raum getragen werden, führen langfristig zu einer Verarmung der Echtwelt: Wer zu jung, zu alt oder nicht „connected“ ist, wird einfach ausgeschlossen.
  • Wir steuern auf Zeiten der digitalen Diskriminierung zu. Meine Oma kann heute ihre Lebensmittel noch im Ladenlokal um die Ecke kaufen. Was aber, wenn Artikel nur noch online bestellbar sind und der Internetzugang damit unverzichtbar ist?
  • Ihr Reisebüro hat geschlossen – für immer. Ihre Reise können Sie natürlich komfortabel über die verfügbaren Onlineportale oder Ihr Handy buchen. Sonst: Nicht.
  • Ihre Bank besteht ebenfalls nur noch aus Robotern. Berater gibt es nicht mehr. „Offline-Bürger“ müssen auf Hilfestellung verzichten.
  • Kleidung, Schuhe, Luxusartikel: All diese Dinge können Sie jetzt auf riesigen Projektionsflächen in Stadt und Land sehen und direkt per QR-Code bestellen. Ladengeschäfte mit Ware zum Anfassen gibt es längst nicht mehr. Diese waren zum Schluss zu „Show Rooms“ verkommen, weil wir als Verbraucher aus Kostengründen lieber im Internet eingekauft haben – natürlich nachdem wir im  Ladengeschäft alles aus- und anprobiert hatten. „Geiz ist geil“ wurde in Kombination mit den technologischen Entwicklungen am Markt zur omnipotenten Superdroge.

Wir alle handeln im Interesse der Industrie

Können Sie es sehen? Aus Sicht der Industrie ist diese Entwicklung großartig, weil die Margen beachtlich sind, die Vorgehensweise völlig legal und weil die Kunden das alles auch noch begrüßen und mittragen.

Wenn Sie jetzt der Ansicht sind, ich übertreibe, dann bitte ich Sie dringend: Richten Sie Ihr Augenmerk einmal verstärkt bewusst auf Ihre eigenes Konsumverhalten sowie etwa auf die Kleinanzeigen in den gängigen Zeitungen und die Online-Berichterstattung. Die Zeichen sind längst da. Es ist an uns, diese Zeichen zu erkennen, zu reflektieren und eine Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung, ob die eingeschlagene Richtung wirklich die Richtung ist, in welche wir gehen wollen.

Die Zeitrechnung ab heute
  • Lebensalter jetzt: 5 – 12 Jahre. Diese Nutzer beeinflussen häufig noch unbewusst das Konsumverhalten der Eltern. Sie prägen neue Modelle, ohne es selbst zu wissen.
  • Lebensalter jetzt: 12 – 30 Jahre. Digital Natives. Die Generation, die den Personal Computer häufig schon nicht mehr kennt und lieber mit den Fingern auf Kleinstbildschirme tippt (Zoomen, Pinchen …). Diese Generation hat die Kontrolle übernommen und schafft nun auf Basis unserer Vision eine völlig neue Wirklichkeit. Leider koppelt sich niemand völlig von der Vergangenheit ab und so bleibt abzuwarten wie viel Neues entsteht.
  • Lebensalter jetzt: 30 – 50 Jahre.  Diese Nutzer haben die neuen Technologien und das zugrundeliegende Denken geprägt oder zumindest gelernt, damit zu leben. Sie bestimmen noch vieles von dem (mit), was täglich passiert. Allerdings zumeist aus Machtpositionen heraus, mit dem Geld ihrer Unternehmen und in entsprechenden Führungspositionen.
  • Lebensalter jetzt:> 50 Jahre. Hier findet, von Ausnahmen abgesehen, häufig schon jetzt die Ausgrenzung statt. Entweder haben die Mitglieder dieser Generation den Anschluss verloren oder ihn nie gehabt. Vielleicht haben sich aber auch ihre wirtschaftlichen Grundbedingungen so verändert, dass sie online nicht mehr teilnehmen können. Die Zukunft wird ab diesem Zeitpunkt ohne sie gestaltet.

Wo bleibt das Positive?

Nun, ich bin nicht so naiv zu glauben, dass einer oder wenige allein die von der Industrie vorgegebenen Pfade verändern können. Allerdings bin ich gleichzeitig zutiefst davon überzeugt, dass in allem Negativen auch Positives schlummert. Es ist an uns zu reagieren. Dazu müssen wir uns zunächst der neuen Möglichkeiten, die wir haben, bewusst werden:

Neue Wege

  • Wir haben nie zuvor so potente Möglichkeiten gehabt, unsere Geschicke selbst zu lenken. Information ist im Überfluss vorhanden und für fast jeden zugänglich.
  • Bildung ist online und rund um die Uhr verfügbar.
  • Ihre Kundenkritik kann jetzt per sozialer Netzwerkstruktur à la Twitter direkt und unmissverständlich gegeben werden – häufig genug noch über das Netzwerk verstärkt.
  • Sie können sich umfassend und zielgerichtet informieren, bevor Sie Ihre Einkäufe tätigen.

Was muss sich dringend ändern?

Doch der wesentliche Punkt bleibt: Alle genannten Vorteile gelten derzeit NUR für diejenigen, die online sind und „Online“ verstehen; die mit den Mitteln und Möglichkeiten umzugehen und zu arbeiten in der Lage sind. Das muss sich ändern. Als Gesellschaft können und dürfen wir uns keine Diskriminierung erlauben. Alle müssen mitmachen und mitgestalten können.

Dies aber funktioniert nur, wenn wir es schaffen, so vielen Menschen wie möglich den Zugang in die „neue Welt“ zu schaffen. Nur so bekommen wir die demokratischen Grundlagen, auf die eine moderne Gesellschaft nicht verzichten kann und darf.

Was brauchen wir dazu?

Unternehmen arbeiten in zunehmendem Maße mit kurzen (Innovations-) Intervallen. Daran ist grundsätzlich nichts falsch, solange dieses Intervall nicht durch Technologie und deren Einschränkungen dominiert wird. Zu oft werden Konzepte erstellt, die nicht den Menschen im Mittelpunkt haben, sondern einen Kompromiss, der aufgrund von technologischen Einschränkungen entstanden ist.  Der Irrglaube, dass Technologie menschliche Probleme löst, muss endlich ein Ende finden (… und das sage ich als Autor, obgleich ich überzeugter Technokrat bin!).

Wir brauchen ein generelles Umdenken, das von denen mitgetragen wird, die die derzeitigen Entwicklungen prägen. Wir brauchen Entscheider und Multiplikatoren, die aufmerksam bleiben und andere auf Entwicklungen aufmerksam machen. Damit die Technologien der Zukunft den Menschen dient – und nicht die Menschen der Industrie und ihren Technologien.

In vielen Gesprächen ist mir klargeworden, welche gesellschaftliche Relevanz diese Entwicklung hat. Wir sind gerade dabei, die Generation 50+ fast komplett zu verlieren. Daher werde ich dieses Thema in nächster Zeit noch weiter ausrollen.

Der Autor: Dirk Liebich ist Managing Director und Gründer von Digital Tempus. Digital Tempus betreut mit Standorten in den USA und in Europa weltweit agierende Unternehmen und Konzerne in der Vertriebs- und Operationsplanung.

Kontakt: magazin@digitaltempus.comwww.digitaltempus.de

  1. Matthias Bastian07-09-2013

    „Meine Oma kann heute ihre Lebensmittel noch im Ladenlokal um die Ecke kaufen. Was aber, wenn Artikel nur noch online bestellbar sind und der Internetzugang damit unverzichtbar ist?“

    Erstmal: Bis es kein Essen mehr im Supermarkt gibt, wird es auch, leider, die Oma wohl nicht mehr geben. Sorry. Die „digitale“ Lücke, die jetzt noch mit etwa 50 bis 60% Nicht-Onlinern ü50/60 klafft, ist dann längst geschlossen.

    Zweitens: Wo Probleme entstehen, finden die Menschen Lösungen. Dann gibt es eben die Webseite „omabestelltessen.de“, die in ihrer Bedienung auf Laien ausgelegt ist und kein/kaum digitales Vorwissen voraussetzt.

    Drittens: Meine Mutter ist mittlerweile ü65. Vor etwa 10 Jahren habe ich ihr die E-Mail beigebracht, mit wenig Aufwand. Sie hat sich dann selbst Skype, What’s App und neuerdings sogar Spotify beigebracht. Wenn die Leute einen NUTZEN in Technologie sehen und ein Bedürfnis danach haben, dann lernen sie die Verwendung – wenn nicht, dann brauchen sie diese auch nicht. Fertig. „Online“ ist keine Raketenwissenschaft und auch von älteren Generationen zu erlernen, wenn der Wille da ist.

    Fazit: Die Oma wird nicht verhungern und diese extreme Schwarzmalerei und Panikmache wirkt mehr als befremdlich. Wenn es darum ging, Aufmerksamkeit zu ziehen: Scheint wohl zu funktionieren. Wenn es darum ging, einen konstruktiven Austausch über einen dezenten Generationenkonflikt anzustoßen – das klappt so nicht.

  2. Simone Happel07-09-2013

    Wie alle großen Entwicklungen ist auch das Internet – und alles was damit zusammenhängt – Fluch und Segen zugleich. Ich persönlich sehe darin eine große Chance, wenn ich mir auch der Schattenseiten bewusst bin. By the way kenne ich auch sehr viele über 50-jährige, die im Internet zu Hause sind. Die Herausforderung ist doch viel mehr der Umgang der Menschen miteinander.

    Ein Beispiel: Meine Eltern sind beide über 70. Mein Vater findet sich recht gut zurecht im Netz, meine Mutter möchte sich gar nicht damit beschäftigen. Nehmen wir einmal an, es gäbe tatsächlich keine Reisebüros mehr. Meine Mutter wäre sicher total überfordert, online eine Reise zu buchen. Aber sie könnte fragen. Meinen Vater, meine Schwester, mich, meine Kinder. D. h. sie wäre nicht ausgegrenzt. Würde meine Mutter allerdings alleine in irgendeiner fernen Stadt wohnen, wäre sie es.

    Solange wir darauf achten, dass die Menschlichkeit bei uns an erster Stelle steht, wir auch nach links und recht schauen, empfinde ich den technischen Fortschritt überwiegend als tatsächlichen Fortschritt. Für alle.

  3. dliebich07-09-2013

    Danke für die Kommentare. @Ulla Schneider: Wenn das bei Ihnen und in Ihrem Umfeld so ist, finde ich das grossartig. Allerdings sind Sie damit meiner persönlichen Wahrnehmung nach eher die Ausnahme.

  4. K4RL07-09-2013

    Ich glaube nicht, dass sich vieles zum Positiven wendet, wenn alle die Möglichkeit haben online zu sein. Das wird eher noch das Negative verstärken. Die Menschen sollten einfach wieder zurück zum „normalen“ Leben finden. Wie das geht? Keine Ahnung! Noch etwas: Die Generation 50+ hat – bis auf wenige Ausnahmen – den Anschluss längst verloren und wird ihn auch nicht wieder finden. Leider!

  5. Ulla Schneider07-09-2013

    Ihre Kategorisierung erstaunt mich und stimmt überhaupt nicht mit meiner Wahrnehmung überein!

    Lebensalter jetzt >50 „Entweder haben die Mitglieder dieser Generation den Anschluss verloren oder ihn nie gehabt.“

    Mit knapp 50 Jahren falle ich und meine Freunde, Bekannte und Kollegen in diese Kategorie. Und ich muss sagen, der Großteil – mit sehr wenigen Ausnahmen, und die befinden sich eher in der Altersgruppe 70+!!! – ist sehr aktiv und interessiert, wenn es um neue Medien, neue Technologien, Online-Handel etc geht.
    Selbst unsere Eltern, die sich in der oben angesprochenen Altersgruppe von 70+ befinden, finden sich noch gut zurecht und stellen sich den Herausforderungen.

    Deswegen möchte ich hiermit Ihrer Kategorisierung entschieden widersprechen!

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