Unsere Toaster, Fernseher, Handys … Wir lieben sie und benutzen sie täglich. Wir haben uns an die Einfachheit ihrer Benutzung gewöhnt. Sie stellen die perfekte Kapselung von Komplexität dar, verbunden mit einer minimalistischen Schnittstelle an den Endverbraucher. Mit anderen Worten: Die Technik ist kompliziert, aber die Benutzung denkbar einfach. Die Tatsache, dass so etwas möglich ist, verleitet zu der Annahme, es müsse in allen Fällen und überall so sein. Es sind dieser Glaube und die damit verbundene Denke, die in der Unternehmenspraxis mehr und mehr Probleme bereiten. Denn leider lässt sich nicht alles „verdummen“. In vielen Fällen ist Komplexität in der Technologie vorhanden, die beim Anwender ein ähnlich komplexes Verständnis verlangt. Das ist notwendig, und dieser Tatsache müssen wir uns stellen. Dringend.
Technologie hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert. Vom Betriebssystem Windows XP bis Windows 8, von Max OSX bis Maverick, sogar Linux, die bekannten Office Applikationen von Microsoft, auch die Planungs- und Verwaltungssysteme für Unternehmen: In allen Fällen kann ein deutliches Maß an Verbesserung festgestellt werden. Zugleich ist jedoch die notwendige Anwenderintelligenz, also das Mindestwissen seitens des Benutzers, offensichtlich fast umgekehrt proportional zurückgegangen. Oder zumindest scheint sie in den meisten Fällen nicht mit gewachsen zu sein.
„Do what I mean“-Knopf? Ein schöner Traum!
Die Schlussfolgerung, die sich daraus ergibt: Es scheint, als ob unsere etablierte Erwartungshaltung der (Weiter-) Entwicklung von Anwenderintelligenz entgegensteht. Alle Probleme sind von und durch die Technologie zu lösen. Selbst in hoch spezialisieren Fachbereichen erwartet der Nutzer den „Do what I mean“-Knopf omnipräsent. (Auf Deutsch in etwa: „Tue automatisch das, was ich gerade brauche.“) Bei der Google-Suche heißt das „Auf gut Glück“. Leider hat diese Art zu denken sich aber auch in den Unternehmensstrukturen merklich niedergeschlagen – und das nicht unbedingt zum Positiven.
Wir erwarten die Erledigung von komplexesten Aufgabenstellungen in kurzer Zeit. Unternehmen greifen fast blind zu Softwaresystemen, in dem Glauben, die Technologie selbst könnte die Komplexität der Planungsrealität schon geeignet lösen. Vergessen wird dabei gern, dass Software nur lösen kann, was zuvor bedacht wurde. Doch alles, was ansatzweise als Komplexität daherkommt, wird konsequent abgelehnt oder einfach delegiert.
Delegiert in der Hoffnung, dass sich schon jemand findet, der sich mit dem Thema und den entsprechenden Details auseinandersetzen wird. Jemand, der die Bereitschaft mitbringt, die gebotene Komplexität zu belassen, wo diese angebracht, zweckdienlich und dringend notwendig ist. Jemand, der bereit ist, sich das Wissen anzueignen, das für den richtigen Umgang mit dieser Komplexität erforderlich ist. Jemand, der die nötige Anwenderintelligenz mitbringt.
Ein schnelles Beispiel
Die Situation: Unternehmen A sieht sich seit geraumer Zeit einer stark veränderten Marktdynamik ausgesetzt. Alles scheint chaotischer zu sein als noch vor Jahren. Entwicklungen, die vor kurzer Zeit noch klar plan- und vorhersehbar waren, sind in völliger Volatilität aufgegangen. Kunden kaufen beispielsweise plötzlich gar nicht mehr oder unerwartet dreimal so viel. Ein bisher unbekannter Mitbewerber betreibt plötzlich Preisdumping und hebelt damit die Preispolitik aus. Was tun?
Der klassische Ansatz: Wir ignorieren dieses Thema. Das wird sich schon wieder beruhigen. Weiter wie gehabt. Dies geht allerdings nur, solange noch ausreichend Marge erwirtschaftet wird. Ab dem Zeitpunkt, wo dies nicht mehr der Fall ist, setzt gewöhnlich die Angst ein. Häufig gefolgt von einer Entlassungswelle. Der Zeitpunkt, die neue Komplexität der Wirklichkeit zu betrachten, zu verstehen und mit dieser geeignet umzugehen, wurde vertan.
Der erweiterte klassische Ansatz: Jemand in der Planungsabteilung muss die Missstände endlich in den Griff bekommen – oder es gibt personelle Konsequenzen. Hier wird delegiert, jedoch ohne Wahrnehmung der erstandenen Komplexität und in der Hoffnung, jemand wird es schon richten. Dies mag in einigen Fällen funktionieren, denn letztlich verfügen die meisten Unternehmen glücklicherweise über außerordentlich gute und gewillte Mitarbeiter. In vielen Fällen wird es aber auch scheitern. Scheitern, weil nicht das notwendige Maß an Auseinandersetzung, Wahrnehmung erzeugt werden konnte. Der schnelle Fix war wichtiger.
Der Selbstbetrug: Wir haben verstanden. Die Dinge haben sich verändert. Wir haben reagiert und unsere Systeme um die Komponenten des Softwareherstellers XYZ erweitert. Jetzt wird alles automatisch richtig gemacht. Das wurde uns zumindest so versprochen, durch bunte Tatsachenberichte untermauert und verkauft. Na dann viel Erfolg. Diese Maß an Naivität und Vertrauen hatten die Dinosaurier auch …
Es gibt nur einen Weg und keine Abkürzung:
Es ist an der Zeit, die Anwenderintelligenz zu erhöhen!
Anwenderintelligenz gehört an alle Stellen im Unternehmen, bei allen Nutzern von Technologie! Lassen Sie uns endlich damit aufhören, alles klein zu reden, zu simplifizieren, aus 10.000 Metern Höhe, aus sicherer Distanz zu betrachten. Hören wir auf mit Schaumschlagen, mit So-tun-als-Ob! Kein Weichwaschen mehr!
Wir leben in zunehmend komplexer werdenden Zeiten. An dieser Tatsache ist kein Vorbeikommen. Entweder wir meistern diese neuen Herausforderungen – oder jemand wird dies für uns tun, und das ist nicht unbedingt der Kandidat unserer Wahl. Erst wenn wir das akzeptieren, können wir geeignete Lösungsstrategien finden. Nur so werden wir uns weiterentwickeln können. So und nur so allein können Unternehmen die Herausforderungen des digitalen Wandels meistern.
… und das gilt übrigens auch für jeden Einzelnen. In diesen Tagen wird viel über das Thema Privatsphäre geschrieben und über das Ausspähen von Daten. Auch hier resultiert das Gros der Probleme daraus, dass der Endanwender zu wenig Wissen um sein Tun hat. Wie funktioniert eigentlich ein Passwort? Wie geht das genau mit diesem Internet? Um verantwortlich mit neuen, komplexen Technologien umzugehen, braucht jeder Nutzer spezifisches Wissen und Anwenderintelligenz. Mehr dazu demnächst!
Der Autor: Dirk Liebich ist Managing Director und Gründer von Digital Tempus. Digital Tempus betreut mit Standorten in den USA und in Europa weltweit agierende Unternehmen und Konzerne in der Vertriebs- und Operationsplanung.