Von Menschen und Algorithmen – Einführung in die Natur der Prophezeiung

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… und Strategien für bessere Vertriebsprognosen

Wir tun es alle täglich, viele Male: das wahrscheinliche Eintreten oder den Verlauf eines Ereignisses voraussagen. Wir schätzen Wahrscheinlichkeiten ein, treffen eine Vorhersage, geben eine Prognose ab. Wir greifen hierzu zumeist auf Ereignisse in unserer Vergangenheit zurück und versuchen Gemeinsamkeiten zu entdecken. Gemeinsamkeiten, die uns die Bestimmung des wahrscheinlichsten Ausgangs der neuen Situation ermöglichen. Wir entwickeln also fast unbewusst eine modellhafte Beschreibung des Vergangenheitsverlaufes und wenden diese auf die Ist-Situation an. Es ist kein Rechenprozess, keine kühle Kalkulation, sondern hat viel mit dem zu tun, was wir Intuition nennen. So versuchen wir die Zukunft zu bestimmen. Als Hellseher oder Prophet fühlen wir uns deswegen noch lange nicht. Ganz im Gegenteil: Wenn Menschen dies im täglichen Leben tun, so gilt es gar nicht als etwas Besonderes.

Prognosen als wichtiger Bestandteil des Geschäftslebens

Wenn Computer genau das Gleiche tun sollen, dann kommen hier komplexe mathematische Methoden zum Einsatz. Mit Intuition oder Unterbewusstem hat so ein Rechner nichts am Hut. Einen solchen Vorgang beschreiben wir gemeinhin als die Anwendung von Prognosealgorithmen. Ob der erzielten Ergebnisse sind wir, je nachdem, ob sie eintreten, entweder beeindruckt oder frustriert. Als Beispiel sei hier die Wettervorhersage genannt. Wer hat sich nicht schon einmal trotz Sonnenvorhersage im schlimmsten Regen wiedergefunden?

Prognosen sind aber nicht nur Teil unseres Alltags, sie bestimmen auch einen großen Teil des Geschäftslebens. So gibt es beispielsweise den ifo-Geschäftsklimaindex für die Prognose des Wirtschaftswachstums. Aber auch in jedem einzelnen Unternehmen spielen Vorhersagen eine wichtige Rolle. Im Folgenden wollen wir sie in ihrer Bedeutung für Planungsprozesse betrachten. Als ein Beispiel nehmen wir dabei die Vertriebsplanung genauer unter die Lupe.

Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.

Dem dänischen Physiker Niels Bohr (und einigen anderen) zugeschrieben

Die Softwarelösungen unserer Geschäftswelt verfügen heutzutage nicht selten über mehrere Dutzend verschiedene Algorithmen, mittels derer die Zukunft vorgesagt werden soll. Dabei stellen sich vor allem zwei Fragen:

  • Wie bewerten wir die Qualität unserer Vorhersagen?
  • Woher wissen wir wie, gut oder schlecht unsere Prognose war und wem oder was wir in Zukunft mehr oder weniger trauen?

Üblicherweise warten wir ab, dass die Zukunft zur Vergangenheit wird. Erst dann können wir das nun bekannte tatsächlich Eingetretene dem Vorhergesagten gegenüberstellen. Damit ist dann zweifelsfrei klar, wer (oder was) Recht hatte und wer (oder was) daneben lag. Die Qualität der Prognose messen wir an der Höhe des Fehlers: Je kleiner die Differenz zwischen echtem Wert und der Schätzung, desto besser. Das ist es, worauf wir im Ergebnis achten, auch bei Prophezeiungen mittels des menschlichen Algorithmus. Hier gilt: „Auch wer nicht völlig richtig lag, kann immer noch ein ausreichend guter Prophet sein.“ Liegt man über eine signifikant lange Zeitspanne häufig genug ziemlich nahe an der Wahrheit, wird die eigene Meinung zum Maßstab für Andere, die sich an uns orientieren.

Diese Vorgehensweise hat uns im Laufe der Evolution gute Dienste geleistet. Daraus hat sich eine Art kollektives Fehlergedächtnis entwickelt. Die Gruppe folgt denen, die über die Gabe der qualitativ hochwertigen Vorhersage verfügen. Diese wenden damit potentiellen Schaden ab und fördern eine positive Entwicklung. Wir haben sozusagen ein ‚vested interest‘ an guten Vorhersagen. Sie helfen uns erfolgreich zu sein. So ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass dieses Vorgehensmodell auch von der Industrie, den Unternehmen in mannigfaltiger Weise übernommen wurde.

Vorgehensmodell für Prognosen in der Wirtschaft

Im Kern sieht hier der Ansatz aus, wie folgt:

  1. Wahrnehmung der Ist-Situation und Zerlegung in relevante Einzelbereiche.
  2. Vergleich der Ist-Situation mit bekannten Verlaufsmustern aus der Vergangenheit.
  3. Entwicklung eines Abbildungsmodels der bekannten Situation und die Schaffung eines gemeinsamen Bewertungskontextes für die Alt- und Neusituation.
  4. (Häufig unbewusste) Anwendung des erstellten Modells auf die neue Situation.
  5. Die Erstellung einer Zukunftsprognose auf Basis der Vergangenheit.

So weit, so gut. Aber ist der oben beschriebene Ablauf nicht ziemlich exakt die generalisierte Beschreibung für das, was zum ganz normalen Tagesablauf einer jeden Vertriebsabteilung gehört? Schauen wir uns diesen einmal an:

Das ganz normale Vorgehen bei den meisten Vertriebsprognosen

  1. Der Vertriebsleiter bittet seine Vertriebler um die Abgabe einer Abschätzung hinsichtlich des zu erwartenden Absatzes in den Folgemonaten.
  2. Der Vertriebler denkt nach und schätzt. Er erinnert sich an die Vergangenheit, vergleicht, schätzt, (be-) wertet und liefert.
  3. Die Ergebnisse sind gut oder nicht.
  4. ….

In der Tat: Der Vertrieb ist ein Prophezeiungs-Universum im Kleinen. Er lebt von Prognosen und hofft auf eine möglichst geringe Differenz zwischen Schätzwert und Realität. Allerdings gibt es ein paar Kleinigkeiten, die das Gesamtbild und die Bewertung desselben ganz schön schwierig machen können und die sind zumeist menschlicher Natur.

Da Vertriebler auch Menschen sind, sind sie von Natur aus eben ziemlich einzigartig in ihrem Verhalten. Jeder von ihnen verfügt über einzigartige Erinnerungen, Erfahrungen, Persönlichkeitsmerkmale. Einzigartig, weil kein Mensch einem zweiten gleicht. Damit entsteht aber eine neue Qualität hinsichtlich der Bewertbarkeit der Ergebnisse. Es stellt sich die Frage nach der Messbarkeit sowie Standardisierbarkeit der Vorhersagequalität und danach, wie damit umgegangen wird.

Der Alles-andere-als-Gold-Standard in der Vertriebsrealität

In der Realität gilt leider immer noch zu häufig der folgende Standard:

  • Es wird geschätzt.
  • Es werden die Werte des Vormonats herangezogen.
  • Es werden die Werte des Vorjahres herangezogen.

In allen Fällen wird eine Planungsrealität prognostiziert, ohne diese später mit der Wahrheit abzugleichen und Fehler zu korrigieren. Der Grund liegt darin, dass die Prognosen durch Menschen abgegeben und nicht durch Maschinen errechnet werden. Ein solcher Abgleich ist aber etwas, das selbstverständlich von jedem Planungssystem, von jedem mathematischen Algorithmus verlangt wird. Wir wollen wissen, wie hoch die Fehleinschätzung war, und korrigieren dann das Modell.

Im Grunde gilt also folgende Aussage: jeder Mensch ist ein eigener Algorithmus und muss innerhalb des Planungsprozesses als solcher betrachtet und berücksichtigt werden.

40+25 Wege – und kein Ende in Sicht

Sie haben 40 Vertriebler im Unternehmen und ein Planungssystem mit circa 25 verschiedenen mathematischen Algorithmen? Dann besteht Ihre Aufgabe darin, die auf 40 + 25 verschiedenen Wegen generierten Planzahlen zu verstehen, den Fehler zu bemessen und die Modelle zu korrigieren. Genau das haben Sie zumindest unbewusst in der Vergangenheit getan. Kein Wunder also wenn sich da Schwankungen in der Planungsqualität einschleichen.

Es kommt noch ein weiterer Betrachtungspunkt hinzu. In der Mathematik ist bekannt, dass bestimmte Algorithmen nur in bestimmten Situationen gute Ergebnisse liefern und diese deshalb nur gezielt angewendet werden sollten. Beim Faktor Mensch scheinen wir da keine Bedenken zu haben? Unser Vertrauen ist a. entweder extrem hoch, oder b. wir haben dieses Thema noch nie so betrachtet, oder c. wir haben schlicht keine Idee, wie wir mit der Problematik umgehen sollen.

Wie erhöhen Sie unter diesen Umständen die Vorhersagequalität und erreichen auf diese Weise eine Verbesserung Ihrer Planung? Versuchen Sie es doch einmal mit dem folgenden Szenario:

Genauere Vertriebsprognosen mit Mustern und menschlicher Erfahrung

  1. Was immer Sie tun, Sie überwachen die Ergebnisse über einen längeren Zeitraum (6 Monate oder mehr) und berechnen den sich ergebenden Planungsfehler: Echtwert – Prognose = Fehler.
  2. Nicht jeder Vertriebsmitarbeiter kann mit guter Qualität vorhersagen. Akzeptieren Sie dies und ziehen Sie die erforderlichen Konsequenzen.
  3. Versuchen Sie die Ursache für den Fehler zu verstehen. Ist der geplante Markt, das Produkt, der Vertriebskanal zu volatil, weil neu? Sind die Produkte noch in der Frühphase und mit zu vielen Fertigungsproblemen behaftet? Bestehen Unterschiede im Kundenverhalten?
  4. Erstellen Sie Muster jeweils für diejenigen Bereiche, in denen eine gute Vorhersagequalität erreicht wurde, und in denen diese stark schwankt. Versuchen Sie die Muster für gute Qualität auf andere Bereiche anzuwenden und beobachten Sie, ob dieses funktioniert. Je mehr Bereiche über bekannte Muster zuordbar werden, desto mehr Ruhe bekommt Ihr Planungsablauf: Sie reduzieren die Volatilität und gewinnen automatisch an Planungsstabilität.
  5. „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“. Die Guten haben Sie auf einer Liste und beobachten diese nur noch auf Veränderung. Den schlechten müssen Sie sich nun zuwenden. Hier sind Ihre Vertriebsprofis und deren Erfahrung gefragt. Aber es gilt auch, die Frage nach der Notwendigkeit für das eine oder andere Produkt oder Kunden zu stellen. Manche Kombinationen machen wirtschaftlich keinen Sinn und sollten anders oder eben gar nicht behandelt werden.  

Sie müssen kein Hellseher sein, um zu wissen, dass mit einer solchen Vorgehensweise Ihre Vertriebsprognosen mittel- bis langfristig deutlich an Qualität gewinnen werden. Probieren Sie es aus! Wenn Sie Fragen haben: Melden Sie sich!

Der Autor: Dirk Liebich ist Managing Director und Gründer von Digital Tempus. Digital Tempus betreut mit Standorten in den USA und in Europa weltweit agierende Unternehmen und Konzerne in der Vertriebs- und Operationsplanung.

Kontakt: magazin@digitaltempus.comwww.digitaltempus.de

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